Statement des Oberbürgermeisters Alexander Badrow zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus
"Liebe Stralsunderinnen und Stralsunder,
am 27. Januar 1945 befreit die Rote Armee das KZ und Vernichtungslager Auschwitz. Auschwitz – dieser Teil unserer deutschen Geschichte lässt sich auch Generationen später kaum ertragen.
Auf einer Tafel am Eingang in Auschwitz steht heute: „Dieser Ort sei allzeit ein Aufschrei der Verzweiflung und Mahnung an die Menschheit.“
Besonders erschüttert mich, dass der Holocaust, der Horror, das Grauen und das Unvorstellbare inmitten einer zivilisierten Gesellschaft geschahen!
Doch dieser Horror begann nicht erst mit den Konzentrationslagern, sondern mit einer Rhetorik voller Hass und Hetze, setzte sich mit Angst und Terror, Gewalt und Größenwahn fort – und gipfelte schließlich in Krieg und industriellem Massenmord. Menschenrechte und Menschenwürde wurden wortwörtlich mit Füßen getreten. Auch hier in Stralsund!
Machen wir uns immer wieder klar: Der Nationalsozialismus war kein Dogma von Hitler. Es waren wir Deutschen, die Adolf Hitler zum „Führer“ gemacht haben. Daran muss ich denken, wenn ich heute höre, dass es inzwischen „Heil Höcke!“ durch Thüringen schallt!
Die Erinnerung zu bewahren, dafür ist dieser Gedenktag da. Dazu gehört mehr als nur das Verlegen und die Pflege der inzwischen mehr als 50 Stolpersteine in Stralsund.
Eines der eindrücklichsten Erlebnisse und eine große Ehre für mich war die Begegnung mit Margot Friedländer, einer Holocaust-Überlebenden, die Verlust und Todesangst als junges Mädchen hautnah erfahren musste.
Auf Einladung der Hansestadt Stralsund kam sie trotz ihres hohen Alters, trotz der Anstrengung, in unsere Kulturkirche St. Jakobi, um mit mehr als 400 Stralsunder Schülerinnen und Schülern zu sprechen.
Kurz nach der Befreiung von Auschwitz berichtet sie aus Theresienstadt: „Im Februar kamen die unsichtbaren Züge… Es waren offene Güterwaggons, in denen Menschen lagen, die kaum mehr Menschen ähnelten… Viele fielen tot aus den Waggons… aber die Toten waren kaum von den Lebenden zu unterscheiden… Etwas fiel mir in die Arme, ein Mensch, so schwach, dass ich ihn tragen musste. Er war federleicht.“
So was erzählt kein Geschichtsbuch, so was erzählen nur Menschen, die dabei waren.
Margot Friedländer ist inzwischen 103 Jahre alt. Und sie mahnt: „Was gewesen ist, können wir nicht ändern. Es darf nur nie wieder geschehen. Es ist in Eurer Hand, dass Ihr vorsichtig seid. Lasst Euch von Hass und Hetze nicht anstecken. So hat es damals auch angefangen.“
Wir sind gefordert, ja, wir stehen in der Pflicht, wachsam zu bleiben! Wachsam gegenüber jenen, die die Fakten verdrehen, die polarisieren und auf Spaltung setzen.
Wir brauchen Menschen, die sich für unsere Werte Einigkeit und Recht und Freiheit starkmachen, die sich als Teil unserer demokratischen Gesellschaft verstehen und die das Grundgesetz achten.
Bei Meinungsverschiedenheiten müssen wir miteinander reden, einander zuhören, aufeinander zugehen und zu einer gemeinsamen Verabredung, zu Kompromissen kommen.
Nur das hält unsere Gesellschaft zusammen! Wer nicht kompromissbereit ist, stärkt Extremisten und schadet unserem Miteinander. Die beste Lösung, um Extremismus einzudämmen, ist eine gute Politik, die sich an der Lebenswirklichkeit der Menschen orientiert und die vor allem Probleme löst. Da bin ich ganz Ingenieur.
Und Tag für Tag versuche ich, meinen Teil als Oberbürgermeister dieser Stadt beizutragen. Fest auf dem Boden unseres Rechtsstaats stehend begrüße ich es, wenn sich die Stralsunderinnen und Stralsunder ebenfalls dazu bekennen – sei es in der Kritik an politischen Entscheidungen oder aus Sorge um wachsenden Extremismus – und wünsche uns allen, dass der Zusammenhalt in unserer Hanse- und Welterbestadt auch weiterhin ganz oben steht."